Donnerstag, 7. Mai 2015

Vortrag von Thomas M. Müller beim Carlsen Creative Campus

 Auftaktvortrag von Thomas M. Müller beim Carlsen Creative Campus 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Bei einer repräsentativen Umfrage unter erwerbstätigen Erwachsenen mittleren Alters gaben auf die Frage nach Ihrem Traumberuf 67% der Frauen und 54% der Männer an: Kinderbücher schreiben oder malen! Wir stellen uns jetzt nicht vor, was wäre, wenn diese vielen Träume in Erfüllung gehen würden. Was wären das für Bücher? Wo könnte man sie unterbringen? Wer sollte sie alle ansehen oder vorlesen? ... Wir halten nur fest: diejenigen, die tatsächlich Kinderbücher schreiben oder Bilder dafür machen, sind privilegiert.
    Seit ich von meiner Einladung hierher weiß und mich frage, was ich zum Thema beitragen könnte, haben sich zwei Begriffe aufgedrängt und sind an mir kleben geblieben wie Kaugummi an der Schuhsohle. Sie sind mir suspekt und ich weiß nicht, wie ich sie loswerden soll. Sie erscheinen mir wie ein unausgesprochener Vorwurf und die gröbste Verunglimpfung im Kinderbuch-Zusammenhang. Sie klingen mir in den Ohren, wie der Name einer schlimmen Krankheit, die jemals bekommen zu können man vehement abstreiten würde, vor der man sich aber fürchterlich fürchtet. Deshalb spreche ich sie einfach aus und hoffe, sie verschwinden damit auf magische Weise. Es sind Beste Absichten (das klingt wie gut gemeint) und Selbstverwirklichung. Beides scheint mir für dieses Metier toxisch. Und tragisch.
    Und gleich noch zu einem Gift. Erfolg. Erfolg im Sinne von Zahlen, Umsätzen, Auflagen usw. Klar, nichts dagegen einzuwenden. Aber, das darf einen nichts angehen. Spreche ich also lieber von einem anderen Metier, um mich verständlich zu machen. Der Chef eines dänischen Herstellers von Steckbausteinen sagt auf die Frage nach dem Geheimnis seines Erfolges: 1. die Anzahl verschiedener Steine senken (also Rationalisierung!) und vor allen 2. die Marke mit anderen erfolgreichen Marken verknüpfen (also der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen). Wir wissen alle, wie gut das in diesem Falle klappt. Auch ich habe, glaub’ ich, für nichts in meinem Leben mehr Geld ausgegeben als für diese Bausteine und unlängst überraschte mich mein kleiner Sohn mit der Aussage, er wünsche sich jetzt nur noch Lego Staffross. Wie mir dann aufging: Star Wars! Und eine Überraschung ist das nun eigentlich nicht.
    Was ich mit Gift meine, ist die Betrachtung des Resultats der eigenen Bemühungen als ein Produkt. Das auf dem Markt platziert werden muß und nur deshalb existiert, weil da noch eine Lücke ist, oder es lohnt, ein Konkurrenzprodukt zu einem erfolgreichen Produkt zu produzieren. Also die Unterwerfung des Inhalts unter das Geschäft. Das Ersetzen des Sinns durch Geschäftigkeit.
    Natürlich ist es die Aufgabe eines Verlages, sich um die Verkäuflichkeit eines Buches Gedanken zu machen. Was ich beklage? Mangelnden Mut. Und ein Konzept à la Lego. Eine Erfolgssystematik, die auf Nummer sicher geht. Das Resultat ist Langeweile. Man geht in die Kinderbuchabteilung, sieht die Absicht und ist verstimmt. Wir als diejenigen, die sich Bücher ausdenken, haben die Plicht, frei davon zu sein. Die Pflicht, Sand ins Getriebe reibungs- und gedankenlosen Produzierens zu streuen. Die Pflicht, auf Alternativen zu bestehen und diese immer wieder anzubieten anstatt Erfüllungsgehilfen von Marketingstrategen zu werden.
    Ich stelle mir da andere Beweggründe vor, Kinderbücher zu machen: Weil man etwas erzählen will und Kinder als ehrliche, aufmerksame, lustige und kritische Zuhörer schätzt. Oder weil man einen ganz konkreten Adressaten hat. Oder weil man der Meinung ist, daß hinter Informationen und Unterhaltung auch Haltung stecken kann. Oder, daß es alte Themen gibt, auf die neue Augen und Ohren lauern. Oder neue Themen. Oder wie man sich wünscht, daß unsere Nachkommen auf unserer Welt ankommen. Oder die Welt für einen wunderbaren Ort hält, den man gestalten kann und muß. Oder Phantasie statt Fantasy.
    Meine Aufgabe sollte es sein, hier die geheime Formel auszuplaudern, wie tolle, ungesehene und unerhörte Dinge entstehen und sich so ballen und formen, daß sie in tollen, ungesehenen und unerhörten Kinderbüchern richtig und gut aufgehoben sind. Ich nehme das als ungeheures Kompliment, daß Sie mir zutrauen, die Formel zu haben. Und natürlich habe ich sie, aber immer wenn ich sie aussprechen will, befällt mich so ein Schwindelgefühl und plötzlich ist der Kopf ganz leer. Deshalb rede ich mich heraus mit zwei Einsichten anderer Menschen, die mich wie der Blitz trafen, und einer kurzen Beschreibung von Beobachtungen meiner eigenen Arbeit.
   1. Einsicht. Ich hörte vom Inhaber eines Cafés oder Clubs oder Restaurants irgendwo in Kalifornien, dessen Laden sich immer größerer Beliebtheit erfreute, in dem auch ein besonderer Musikmix lief, und der ermuntert wurde, Filialen zu gründen oder wenigstens seine Musik auf CDs oder im Netz zu verfügbar zu machen. Nein, daran hätte er überhaupt kein Interesse, er fände es gerade gut, »daß es diese Atmosphäre und Musik nur hier gibt. Es solle keinesfalls exportiert werden oder expandieren, es komme darauf an«, und jetzt kommts: »Es komme darauf an, klein und speziell zu bleiben«. Das hat mich umgehauen. Das ist eine Haltung, die mir als eine Art Sitz-Blockade gegen Vermarktung politisch vorbildlich erscheint. Liegt nicht in der Differenz der Wert unserer Welt? klein und speziell bleiben.
    2. Einsicht. Dagobert Lindlau, Fernsehjournalist, sagt über sein Metier: »Man muß sich gleichzeitig konzentrieren und total entspannen.« Wenn das nicht auch für uns gilt!
    Was mich betrifft: ich bin in unserem Metier randständig. Als Illustrator ist man oft Zweiter, es flattert einem also was auf den Tisch, das der Zutat von Bildern bedarf. Da ist es wichtig, daß die Sache im Kopf Plastizität annimmt (Kann man das provozieren, beeinflussen oder ist das determiniert? Das habe ich bisher nicht rausgefunden.), und ist es ein großer Genuß, wenn sich die gegebene Sache als Gelegenheit erweist, eigene Interessen einzumischen, formaler Art zum Beispiel –  die Erprobung von Stimmungen oder eines neuen Materials oder: ich wollte doch schon immer mal Männer mit Hüten zeichnen.
    Und wenn man mal erster ist? – Das Phänomen, man macht etwas
aus dem Nichts. Häufig stellt sich der Beginn im Nachhinein als Petitesse heraus – ein Wortspiel, eine Entdeckung im Papierkorb, eine absichtslose Kritzelei, ein Versprecher ... Geistesabwesend sang ich mit meinem Sohn statt »Der Kuckuck und der Esel« »Der Traktor und der Esel« und das verdichtete sich zu einem Buch. Ich habe das ernst genommen. Und bei der Arbeit daran haben sich eigene Fragen und Regeln ergeben und ich habe Wünsche damit verknüpft, wie es werden solle. Und hatte Gegenwind. Und kleine Glücksmomente des Gelingens im Detail. Und Durststrecken und Zweifel. Zu banal? Zu bemüht? Zu steif? Zu vorhersehbar? Man gerät in einen Sog und hält das auf dem Arbeitstisch für die wichtigste Sache der Welt, und wenn man nach Stunden der Beschäftigung auf die Straße tritt (und die Farben besonders leuchtend findet, weil man gerade koloriert hat) und dann aber merkt, die Leute und der Verkehr sind wie immer und außerhalb des eigenen Kopfes existiert diese wichtigste Sache der Welt garnicht, dann ist das toll im doppelten Sinne. Die Sache hat Bedeutung, weil man sie ihr gibt – das ist Privileg und Verrücktheit. Und: es ist eigentlich halb so wild – und das ist eine Erleichterung. Wenn man Glück hat oder geduldig weitermacht – mal ist es steil und mal abschüssig – nimmt es Gestalt an. Und DAS ist ein Wunder, was zu beschreiben nur in bescheuerte, esoterische Kategorien führte. Aber vieles wird nix. Erstmal. Die Wege sind oft krumm. Sachen brauchen Jahre. Ich finde in alten Haufen von Papier frühe Zeugnisse meiner Beschäftigung mit etwas, das später anders herauskommt und gedeiht. Oft habe ich im Rückblick das Gefühl einer gewissen Folgerichtigkeit, im Gelungenen wie im Mißlungenen. Ich habe etwas gelernt. Ich erkenne mich wieder. Und besten Falle auf eine kindliche Weise.
   Zu Ihrer Beruhigung: eines muß ich Ihnen noch gestehn, das mit der Umfrage eingangs war glatt gelogen.
   Ihnen einen guten kreativen Carlsen Campus! Vielen Dank!

©Thomas M. Müller beim Carlsen Creative Campus in Hamburg, 24.4.15

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